Latifa Al Maktum, Scheicha aus Dubai, soll seit drei Jahren die Geisel ihres Vaters sein. Nun ermitteln sogar die Vereinten Nationen.
Rafaela Roth
20. Februar 2021, NZZ am Sonntag
Es gibt ein Video von Latifa Al Maktum, in dem sie fliegt. Kopfüber rast die Scheicha auf die Erde zu, unter ihr die künstlichen Palmeninseln Dubais. Die Sonne strahlt durch den Dunst, der Wind tost, die junge Frau breitet die Arme aus. Sie dreht einen Salto, stemmt ihre Beine in die Tiefe. Als wolle sie die Landung ihres Körpers hinauszögern. Dann bläst der Fallschirm auf, reisst sie in die Seile. Latifa segelt auf den Boden, in die Vereinigten Arabische Emirate – in ihr Gefängnis.
Latifa Al Maktum gehört nur in ganz seltenen Momenten sich selbst. Länger als ein paar Stunden war die 35-Jährige nur einmal frei: etwa acht Tage im Februar 2018, auf ihrer Flucht aus Dubai. Die Prinzessin wollte nichts Ungewöhnliches: selbst über ihr Leben bestimmen, studieren, reisen. Es ging schief. Seit dem Fluchtversuch blieb sie verschollen, bis der britischen BBC letzte Woche neue Videos zugespielt wurden: «Ich bin eine Geisel. Jeden Tag fürchte ich um mein Leben», sagt Latifa in der Toilette einer Villa, irgendwo in den Emiraten.
Diese soll zu einem Gefängnis umgebaut worden sein. Fünf Polizisten patrouillieren draussen, fünf drinnen, sagt sie. Latifa ist eines der dreissig Kinder von Muhammad bin Raschid Al Maktum, und sie verhält sich nicht wie vorgesehen. Ihr Willen hätte längst brechen müssen. Doch sie kämpft mit Videos weiter.
In Finnland sitzt Tiina Jauhiainen am Computer und koordiniert deren Publikation. Jauhiainen war Latifas Fallschirmlehrerin, später ihre Freundin und 2018 ihre Fluchthelferin. Sie war bei ihr, als Latifa das erste Mal in ihrem Leben in einem Auto vorne sitzen konnte. Die Flucht endete auf einer Jacht vor der Küste Goas, wo fünf Maschinengewehre auf ihre Köpfe zielten und eine Stimme ihnen empfahl, sich vom Leben zu verabschieden.
Jauhiainen kam frei, seither kämpft sie für die Freiheit ihrer Freundin. «Selbst die Uno will den Fall jetzt untersuchen. Die Welt schaut hin, das schützt sie», sagt sie im Videointerview, zieht die Augenbrauen hoch: «Dubai hat ein Statement abgegeben! Latifa sei wohlauf und glücklich bei der Familie. Lügner!», sagt sie.
Latifas Geschichte klingt mehr nach Mittelalter als 2021. «Wir sollen dich schlagen, bis wir dich töten. Das ist der Befehl deines Vaters», soll einer ihrer Folterer gesagt haben, als sie mit 16 Jahren zum ersten Mal geflüchtet ist. Als Teenager im Gefängnis sollte sie das erste Mal brechen. Ihr Vater sei die bösartigste Person, die sie kenne, sagt sie.
Muhammad bin Raschid Al Maktum ist einer der reichsten Männer der Welt, Herrscher von Dubai und Verteidigungsminister der Arabischen Emirate. Er führt der Welt vor, was mit so viel Geld alles möglich ist: mitten in der Wüste eine Stadt so glamourös wie New York bauen etwa, sechs Frauen haben, die grössten Pferderennen der Welt austragen, mit der Queen befreundet sein, 3,5 Milliarden in Uno-Entwicklungsziele für Kinder investieren – und seine Töchter entführen, sie angeblich foltern, sie einsperren.
Latifa wächst auf in einem Käfig aus Gold. Sie lebt mit ihrer Mutter und drei Geschwistern in einem Palast mit Dutzenden Angestellten. Es gibt Pools, Nagel- und Massagestudios, Köche und Rolex-Uhren, nur keine Freiheit für Mädchen. Als ihre älteste Schwester Shamsa 18 Jahre alt ist, versucht sie in den Ferien in England zu fliehen. Sie wendet sich an Journalisten, ein «Guardian»-Artikel erscheint. Nach einem Pubbesuch wird sie unter Drogen gesetzt, zurückgeflogen und ins Gefängnis geworfen. Eine Untersuchung des Vorfalls wird aus fragwürdigen Gründen fallengelassen. Der Emir ist einer der grössten privaten Landbesitzer Englands.
Latifa braucht Jahre, um sich von ihrem ersten Fluchtversuch zu erholen. Sie mag nun Tiere lieber als Menschen, lernt tauchen, Fallschirmspringen. «Sie ist reserviert, aber waghalsig», sagt ihre finnische Freundin. Jeder ihrer Schritte wird überwacht. Mit 33 will sie wieder fliehen. Es ist ein Kampf gegen Goliath. Der Emir von Dubai hat freie Hand über eines der ausgeklügeltsten Überwachungssysteme der Welt. Der Wüstenstaat trackt Handys, verwandelt sie in Abhörgeräte und pflegt beste Beziehungen zu Indien. Das Land hilft, sie zurückzuholen.
Nun bringt ein BBC-Dokumentarfilm Bewegung in die Sache. Boris Johnson zeigt sich «besorgt» über die Situation der Prinzessin. Europäische Influencer, die sich vom Emir kaufen lassen, kommen in Erklärungsnot. Das Image des Emirs leidet. Fragt sich, wem er die Schuld daran geben wird.